Smart Farming: Was tun bei Blackouts?   [27.07.20]

Könnte ein Hacker-Angriff die Landwirtschaft zum Erliegen bringen und die Grundlage unserer Ernährung in Gefahr bringen? Selbst wenn das heute noch wie ein futuristisches Horror-Szenario klingt: Je weiter die Digitalisierung voranschreitet, desto mehr gilt es auch ihre Kehrseiten in den Blick zu nehmen. Wiwi-Student Philipp Reister befasst sich in seinem aktuellen Humboldt reloaded-Projekt deshalb mit einem Ansatz, der Smart Farming widerstandsfähig gegen einen Ausfall von Internet- bzw. Kommunikationsstrukturen machen soll. Das Ganze unter Corona-Bedingungen von zu Hause aus…


Vor einigen Wochen traf das Päckchen bei Philipp Reister zu Hause ein. Der Inhalt: Ein Mini-Computer Raspberry Pi 4 und Sensoren für den Pflanzenbau, mit denen die Lufttemperatur sowie die Feuchtigkeit von Luft und Boden gemessen werden können.

Gärtnern gehört zu den Hobbys des Hohenheimer Wiwi-Studenten. Die Leidenschaft hat er von seinem Opa, dem er schon als Junge im Garten half. Heute hegt und pflegt er eine eigene kleine Tomatenkolonie. Hier will er auch die gelieferten Sensoren ausprobieren.

Als Computer-Nerd würde sich Philipp hingegen nicht gerade bezeichnen. Und genau das qualifiziert ihn für seine Aufgabe in dem interdisziplinären Humboldt reloaded-Projekt: Denn auch die Landwirte, die den Mini-Computer später einmal benutzen sollen, sind ja per se erst einmal keine IT-Experten. Philipp will sich so gut wie möglich in ihre Lage versetzen.

Chancen und Risiken der Digitalisierung

Schon heute setzen immer mehr Landwirte auf intelligente Landmaschinen. Mit Hilfe von Sensoren und Daten aus der Cloud erlauben es diese, exakt so viel Düngemittel, Pflanzenschutzmittel oder Wasser zur Bewässerung auszubringen, wie tatsächlich erforderlich ist. Das ist gut für den Ertrag und für die Umwelt.

Das Potenzial der Digitalisierung in der Landwirtschaft ist riesig. In Zukunft könnten Feldroboter sogar immer mehr Aufgaben autonom übernehmen. Doch wenn die Abhängigkeit von Daten steigt, birgt das auch Risiken: Was z.B. tun im Fall eines Strom- oder Internetausfalls?

„Wenn alle Daten zentral gehostet werden, ist das System sehr anfällig. Und es ist auch ein lukratives Ziel für Hacker“, erklärt Philipp. „Natürlich sind entsprechende Internetausfälle in jeder Branche verheerend. Aber von der Landwirtschaft hängt unsere Ernährung ab. Dieses Risiko kann die Gesellschaft eigentlich nicht in Kauf nehmen.“

      

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Mehr zu Humboldt reloaded

Laufende Projekt und Hintergründe:

 

Dezentrale Datenhaltung auf der Hof-Box

Hier kommt nun der Mini-Computer ins Spiel, den Philipp gerade in seinem Heimnetzwerk testet. Die Idee: Um sich vor kurz- oder auch längerfristigen Ausfällen zu wappnen, sollen die Landwirte künftig die wichtigsten Daten dezentral auf ihrer eigenen Hof-Box vorhalten, die im Fall der Fälle mit Solarstrom weiter betrieben werden könnte.

„In dem Humboldt reloaded-Projekt geht es um die Frage, wie eine solche Technologie beschaffen sein muss, damit Landwirte sie tatsächlich nutzen. Denn langfristig bringt sie zwar mehr Sicherheit, kurzfristig aber erstmal zusätzlichen Aufwand“, erklärt Philipp.

Unterstützung bekommt er nicht nur von seinen Betreuern Evelyn Reinmuth und Sebastian Bökle in Hohenheim, sondern u.a. auch von Daniel Eberz, einem Hohenheimer Alumnus, der heute im Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinhessen-Nahe-Hunsrück in Bad Kreuznach arbeitet.

Denn von dort aus wird ein großes Projekt zur betrieblichen Datenhaltung und resilienten Vernetzung der Landwirtschaft koordiniert („GeoBox-Infrastruktur“). Zu den Kooperationspartnern zählen u.a. die TU Darmstadt und das Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.

Forschendes Lernen unter Corona-Bedingungen

„Die räumliche Distanz spielt aktuell eigentlich gar keine große Rolle. Denn Corona-bedingt muss das Humboldt-Projekt ja ohnehin komplett digital ablaufen“, meint Daniel Eberz. „Wir tauschen uns regelmäßig per Video-Konferenz und Chat aus. Und ich muss sagen: Ich bin wirklich beeindruckt, wie sehr sich Philipp ins Zeug legt. Das Thema ist nicht ohne und man darf nicht vergessen, dass er sich noch im Bachelor-Studium befindet.“

In der Organisation der Zusammenarbeit setzt das Team auf SCRUM, ein Framework für das agile Projektmanagement, das ursprünglich aus der Software-Entwicklung stammt.

Evelyn Reinmuth, erklärt die Grundidee wie folgt: „Es geht darum, ein komplexes Thema in möglichst kleine, handhabbare Arbeitspakete aufzuteilen, Zuständigkeiten zu klären, regelmäßig Feedback zu geben und immer wieder gemeinsam die nächsten Schritte festzulegen. Das schafft einerseits Flexibilität um Anpassungen vorzunehmen und gibt anderseits die notwendige Hilfestellung für das eigenständige Arbeiten. Für die Zuweisung der Aufgaben, die Verwaltung von Dokumentenversionen und als Ticketsystem nutzen wir GitLab.“

Philipp kommt die Arbeitsweise sehr entgegen: „Wenn man 2-3 kleinere Aufgaben statt einer großen hat, fällt es leichter, sie anzupacken. Vor allem aber war ich überrascht über das intensive Feedback und die tolle Arbeitsatmosphäre: Wir waren alle sofort per Du und ich wurde von Anfang an auf Augenhöhe behandelt. Da fällt es dann auch nicht schwer, Fragen zu stellen, wenn man mal nicht weiterkommt.“

Inzwischen hat Philipp den Entschluss gefasst, das Thema in seiner Bachelor-Arbeit unter ökonomischen Aspekten weiter zu vertiefen. Dazu plant er unter anderem eine Befragung von Landratsämtern und Maschinenringen. Der Fokus liegt dabei auf Maßnahmen, wie Digitalisierungsrisiken in der landwirtschaftlichen Primärproduktion vermieden werden können.

Sein Fazit zu Humboldt reloaded: „Ich habe in meinem Studium noch nie etwas annährend so Interessantes gemacht!"

Text: Leonhardmair


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